Am 16. Mai 2017 veranstalteten das Deutschlandradio und das ITM-Institut der Universität Münster gemeinsam einen Workshop zum Thema „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten des Populismus“.  An der Veranstaltung im Funkhaus Berlin nahmen zahlreiche namhafte internationale Vertreter aus Rundfunk und Presse teil, darunter die langjährige Leiterin der globalen Nachrichtensparte des BBC Helen Boaden, Dr. Klaus Unterberger vom österreichischen Rundfunk (ORF), die Schweizerin Nathalie Wappler Hagen, mittlerweile Programmdirektorin beim MDR, sowie Justus Bender von der FAZ. Im Fokus der Tagung standen die aktuellen Veränderungen in der Medienlandschaft sowie der Umgang mit Polarisierungstendenzen und weiteren Herausforderungen im In- und Ausland.

Populisten üben Kritik an den herkömmlichen Medien und insbesondere am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In jüngster Zeit haben sie in einigen Landtagen hierzu umfangreiche Anhörungen initiiert. Ihre Vertreter in den Rundfunkräten der Rundfunkanstalten verstehen sich als Kritiker des bestehenden dualen Mediensystems. Wie soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf populistische Kritik reagieren? Wie nehmen populistische Akteure auf den allgemeinen Meinungsbildungsprozess Einfluss? Ist das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien erschüttert? Unter der Moderation von Bettina Schmieding gingen die Referenten der Tagung unter anderem diesen Fragen nach.

Während des Wahlkampfs in den USA beschränkten sich die Medien oft auf eine unreflektierte Wiedergabe des Gesagten der Kandidaten, so Helen Boaden, die ehemalige Direktorin der BBC-Radio. Donald Trump schaffte es, mit seinen kontroversen Aussagen und Provokationen 63% der Sendezeit, die auf die Berichterstattung über die republikanischen Präsidentschaftskandidaten entfiel, für sich zu beanspruchen. Er erlangte damit größte Bekanntheit. Helen Boaden ist überzeugt: Allein durch das Wiederholen der Botschaften des Kandidaten Trump verfestigten diese sich in den Köpfen und gingen in das allgemeines Bewusstsein seiner Anhänger über. Die intensive Berichterstattung über die von ihm verursachten Provokationen hat ihm Aufmerksamkeit verschafft, die seine Wahl zum Präsidenten erst möglich gemacht hat.

„Populismus ist die Annahme, man sei der alleinige Vertreter des Volkes und die Anderen seien nur eine machthungrige Elite. […] Populismus heißt: ‚Ich bin das Volk. Die andern sind alle korrupt, oder machthungrig oder elitär und nur ich bin legitim, die anderen sind nicht legitim‘.“ So beschreibt Justus Bender, Reporter der FAZ, den Populismus und geht auf die Beziehung zu den Medien ein. Populisten verbreiten zwar ein generelles Misstrauen gegenüber etablierten Medien, nutzen diese aber dann, wenn es ihre Standpunkte unterstützt. Der eigenen Ideologie zuwiderlaufende Nachrichten werden als Lüge betitelt. Die eigene Ideologie unterstützende Nachrichten werden als verlässliche Quelle präsentiert. Dabei kann ein Journalist nie völlig neutral berichten, sonst wäre er ein Stenograph. Schließlich sind Populisten abhängig von den Massenmedien. Wird über einen neuen Skandal einer populistischen Partei berichtet, erreicht diese ein wesentlich größeres Publikum, als wenn sie auf der eigenen Website oder über vergleichbare Wege eine Nachricht verbreitet.

Die öffentliche Wahrnehmung wird heute im Wahlkampf auch durch sogenannte Bots beeinflusst, sagt Frau Dr. Lena Frischlich, Medienpsychologin an der Universität Münster. Das sind Programme, die z.B. durch das Erstellen von Profilen auf Facebook, Twitter u.ä. Inhalte erstellen und verbreiten. Sie teilen Artikel, liken Beiträge, Persönlichkeiten und anderes. So rücken Nachrichten in das Blickfeld vieler Nutzer solcher Plattformen, die sie sonst nicht wahrgenommen hätten. Die Relevanz und Bekanntheit der durch Bots verbreiteten Nachrichten wird unverhältnismäßig gesteigert und Meinungsmehrheiten werden simuliert. Die Kosten für eine derartige Beeinflussung sind gering. 10.000 Bots kosten nur etwa 500 Euro. Auch gezielte Wiederholungen, beispielsweise des Begriffs der „Lügenpresse“, sind mit Bots einfach zu erzielen. Sie führen dazu, dass die Wahrnehmung der Menschen beeinflusst wird, gewollt oder ungewollt – der sogenannte „Mere-exposure-effect“. Ob ein Bot einen Inhalt erstellt hat oder tatsächlich ein Mensch dahinter steckt, lässt sich oft daran erkennen, dass mehr als 50 Beiträge am Tag veröffentlicht werden, oder daran, dass die Bots keine Ironie erkennen können. Frau Frischlich ist dafür, das Publikum zum selber nachdenken zu animieren: Warum können diese Nachrichten nicht wahr sein? „Erzählen Sie die besseren Geschichten“, sagt Frau Frischlich. Eine wichtige Aufgabe der Journalisten ist es, glaubwürdige Alternativen zu bieten, nur dagegen zu sein, reiche nicht aus.

Prof. Dr. Bernd Holznagel von der Universität Münster ging auf den verfassungsrechtlichen Rahmen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. ARD und ZDF sind verpflichtet, die Bürgerinnen und Bürger mit den notwendigen Informationen zu versehen, damit sie angemessen am freien Willensbildungsprozess und an Wahlen teilnehmen können. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist daher verpflichtet, vielfältig, unabhängig, neutral und gemäß den journalistischen Sorgfaltsstandards zu berichten. Zudem ist das Ausgewogenheitsgebot zu beachten. Es gelte jedoch, so Holznagel, nicht für jede einzelne Sendung, sondern für das Programm als Gesamtheit. Daher müsse nicht in jeder Talkshow eine Auseinandersetzung mit den politischen Vorstellungen der Populisten erfolgen. Besonders aktuell sei der Integrationsauftrag von Hörfunk und Fernsehen. In den USA hätten sich im Wahlkampf zwei feindlich gegenüberstehende Medienräume herausgebildet, die zum einen Hillary Clinton (New York Times, CNN) und zum anderen Donald Trump (Breitbart, Fox) unterstützten. Die Konsumenten würden sich nur noch in einer dieser Echokammern aufhalten. Meinungen, die nicht dem eigenen Wertesystem entsprechen, würden abgelehnt. Anders ist die Lage in Deutschland. Dort bezieht die politische Mitte der Bevölkerung ihre Informationen immer noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Qualitätspresse wie der FAZ oder der SZ. Nur die Sympathisanten der Populisten informieren sich aus Medienangeboten wie RT oder der Jungen Freiheit. Zukünftig gelte es, die Kommunikationsräume für diese politische Mitte zu stabilisieren. Hierfür müsse der Online-Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zügig ausgedehnt werden.

Stephan Detjen, der Chefkorrespondent des Deutschlandradio Hauptstadtstudios, erläuterte  mögliche Gegenmaßnahmen. Mit der rasenden Entwicklung und einem Überangebot an schnell verfügbaren Nachrichten gehe es bei gutem Journalismus nicht mehr darum, wer eine Information als erstes anbieten könne, sondern darum, die Nachrichten glaubwürdig zu erklären, kompetent einzuordnen und sachlich begründet zu analysieren. Deshalb brauche es eine Vielfalt an Kompetenzen. Die Redaktionen müssten attraktive Jobs für qualifizierte berufliche Quereinsteiger bieten. Der Vorwurf, die Journalisten würden nur ihre politische Meinung verbreiten, entspricht nicht dem, was Herr Detjen wahrnimmt. Früher war in den Rundfunkanstalten ganz offensichtlich für jede Partei ein Medienvertreter zugegen und die verschiedenen Zeitungen konnten leicht einem politischen Milieu zugeordnet werden. Heute lauten die Leitfragen: Haben wir eine lebendige Diskussions- und Streitkultur? Haben wir eine professionelle Lust an der intellektuellen Auseinandersetzung mit Perspektivwechseln und daran, den Widerspruch zu pflegen?

Anschließend folgte eine Darstellung des Populismus in den Medien verschiedener Länder. Casper Selg berichtete aus der Schweiz, dass populistische Parteien und Medien schon seit langer Zeit ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sind.  Dr. Klaus Unterberger stellte die Verhältnisse in Österreich dar. Dr. Irini Katsirea beschrieb die Situation in den Medien im Verlauf der Brexit-Abstimmung und den sich anschließenden politischen Entwicklungen in Großbritannien.

Während der folgenden Podiumsdiskussion gingen die Referenten der Frage nach, welche Strategien der öffentlich-rechtliche Rundfunk anwenden soll. Besonders betont wurde hier, dass es unabhängig finanzierte, öffentlich-rechtliche Medien geben müsse. Der klassische Journalismus stehe in Preiskonkurrenz zu kostenfreien Online-Medien, was dazu führe, dass Nachrichten kaum noch profitabel zu erstellen seien. Dies wurde von allen Diskussionsteilnehmern als kritisch angesehen. Denn die Medien sind als Wahrer der Demokratie und Überwacher von „denen da oben“ unverzichtbar.